Invasive Diagnostik

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Menschliche Chromosomen, 46, XY. Die Chromosomen sind die Träger des Erbguts und liegen in den Körperzellen immer paarweise vor. XX bedeutet ein weibliches und XY ein männliches genetisches Geschlecht.

Liegen Risiken für eine kindliche genetische Erkrankung vor, zum Beispiel auffällige Ultraschallbefunde wie eine verdickte Nackentransparenz oder Fehlbildungen, familiäre Belastungen für genetische Erkrankungen oder auffällige pränataldiagnostische Testergebnisse, kann über die invasive Diagnostik eine Untersuchung der kindlichen Chromosomen (der Erbgutträger) erfolgen. Dies wird als Karyotypisierung bezeichnet. Normabweichungen der Anzahl (fehlende Chromosomen oder erhöhte Anzahl) oder der Struktur der Chromosomen (z.B. Verlust oder Verdopplung von Chromosomenabschnitten) können entsprechende Krankheitsbilder unterschiedlichen Schweregrads bedingen. So liegt beispielsweise bei der Trisomie 21 das Chromosom 21 dreifach statt normalerweise zweifach vor, es entsteht das Krankheitsbild des Down-Syndroms.

Bei dem Untersuchungsvorgang wird unter Ultraschallsicht mit einer sehr feinen Nadel die mütterliche Bauchdecke und Gebärmutterwand punktiert. Aus dem Fruchtwasser oder dem Mutterkuchen werden Proben entnommen, die fetale bzw. plazentare Zellen enthalten. Die Punktion geschieht in der Regel ohne lokale Betäubung, da der Eingriff von den meisten Frauen als wenig schmerzhaft beschrieben wird und auch nur kurz dauert. Durch die Ultraschalluntersuchung während der Punktion wird die korrekte Nadellage kontrolliert, um Fehlpunktionen und kindliche Verletzungen zu vermeiden.

Nach dem Eingriff sollte die Schwangere sich für ca. zwei Tage körperlich schonen, leichte Alltagsbelastung und die übliche Körperpflege sind erlaubt. Bei Beschwerden wie anhaltende Schmerzen, Blutung, Fieber bzw. Infektionszeichen oder Fruchtwasserabgang sollte zeitnah ein Arzt oder die Klinik aufgesucht werden.

Chorionzottenbiopsie (Plazentapunktion):
Diese Untersuchung kann in Abhängigkeit von den Untersuchungsbedingungen bereits ab der 12.SSW durchgeführt werden. Unter Ultraschallsicht wird mit einer feinen Nadel der Mutterkuchen punktiert und etwas Gewebe entnommen. Eine Punktion der Fruchthöhle, in der sich das Baby befindet, erfolgt hierbei nicht. Das Gewebe des Mutterkuchens ist in der Regel mit dem Gewebe des Kindes genetisch identisch. In seltenen Fällen (1-2%) tritt jedoch ein sogenanntes Mosaik auf, bei dem die Zellen des Mutterkuchens nicht mit den Zellen des Kindes übereinstimmen. Durch eine Direktpräparation kann der Humangenetiker innerhalb von nur 24-48 Stunden orientierend die Zahl und lichtmikroskopische Struktur der Chromosomen beurteilen. Die Untersuchung (Langzeitkultur) im humangenetischen Labor dauert bis zum Erhalt des Endergebnisses ca. 2-3 Wochen.

Amniozentese (Fruchtwasserpunktion):
Diese Untersuchung erfolgt in Abhängigkeit von den Untersuchungsbedingungen ab der 16.SSW. Unter Ultraschallsicht wird mit einer feinen Nadel die Fruchthöhle punktiert und ca. 20ml Fruchtwasser abgenommen. Diese Menge entspricht ca. 10% der gesamten Fruchtwassermenge in diesem Zeitraum und wird zügig wieder nachgebildet. In einem humangenetischen Labor  werden die im Fruchtwasser enthaltenen fetalen Zellen herausgefiltert und angezüchtet. Der Humangenetiker analysiert die Zahl und die lichtmikroskopische Struktur der Chromosomen. Durch diese Untersuchung können Chromosomenanomalien in über 99% ausgeschlossen werden. Ein Schnelltest (FISH), der auf die häufigsten Chromosomenanomalien wie die Trisomien 21, 13, 18 und der Geschlechtschromosomen untersucht (ca. 85% der Chromosomenstörungen), kann durchgeführt werden und dauert ca. 24-48 Stunden. Die Untersuchung im Labor dauert bis zum Erhalt des Endergebnisses nach Langzeitkultur ca. 2-3 Wochen.

Bei der invasiven Diagnostik besteht ein niedriges eingriffsbedingtes Risiko von statistisch max. 0,1% für eine Fehlgeburt.

(Quelle: Scharf et al, Frauenarzt 62(1), 01/2021)

Ist der Chromosomenbefund unauffällig bzw. die Zahl und die lichtmikroskopische bzw. zytogenetische Struktur der Chromosomen korrekt, kann eine kindliche Störung dennoch nicht komplett ausgeschlossen werden. Sehr kleine Veränderungen der Chromosomen (z.B. Mikrodeletionen oder Mikroduplikationen, molekulargenetische Defekte) werden mit der konventionellen zytogenetischen Chromosomenanalyse nicht erfasst.

Ergänzend kann ein sogenannter Array-CGH oder Microarray erfolgen, welches ein besonders differenziertes genetisches Untersuchungsverfahren darstellt und noch weitere submikroskopische Chromosomenanomalien (Mikrodeletionen, Mikroduplikationen) erkennen kann. Bei konkretem Verdacht auf einen Gendefekt kann auch eine hochspezifische molekulargenetische Untersuchung erfolgen, wenn z.B. ein vorbeschriebenes Fehlbildungsmuster bei der Ultraschalluntersuchung gesehen wird oder weil eine familiäre Belastung für eine erbliche Erkrankung mit einem bekannten Gendefekt vorliegt. Über eine genetische Paneldiagnostik kann bei einem  bestimmten Fehlbildungsmuster nach den häufigen bekannten ursächlichen Gendefekten gesucht werden. Die umfassende Untersuchung aller bekannten krankheitsverursachenden Gene (Clinical Exome Sequencing) oder aller Protein-kodierenden Gene (Whole Exome Sequencing, Trio Exome Sequencing unter Einbeziehung des Erbguts der biologischen Eltern) kann in bestimmten Situationen erwogen werden. Doch auch durch solch eine ausgedehnte genetische Diagnostik werden bislang nicht alle krankheitserklärenden Ursachen gefunden. Manchmal werden hierbei auch genetische Veränderungen gefunden, über deren Bedeutung noch keine Aussage getroffen werden kann, wodurch weitere Verunsicherung geschaffen wird.

Bei Auffälligkeiten im genetischen Befund oder familiärer Belastung für erbliche Erkrankungen empfiehlt sich eine humangenetische Beratung durch einen spezialisierten Facharzt für Humangenetik. Eine humangenetische Beratung kann auch bereits vor einer geplanten invasiven Untersuchung erfolgen.

Bei entsprechender medizinischer Indikation werden die Kosten für die Chromosomenanalyse und gezielte molekulargenetische Analysen von den  Krankenkassen übernommen. Jedoch gilt dies bislang nicht für die pränatale Array-Diagnostik oder das WES. Die hohen Kosten hierfür müssen, werden diese Untersuchungen von den Eltern gewünscht, selbst getragen werden bzw. muss bei den Krankenkassen die Kostenübernahme beantragt werden.

Frauen mit Rhesus-negativer Blutgruppe erhalten nach dem Eingriff üblicherweise eine Rhesusprophylaxe (Anti-D-Injektion) zur Vermeidung der Entwicklung einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind.